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Medizin Wenn aus "Blue Babys" Erwachsene werden
Die medizinische Entwicklung hat es möglich gemacht, dass Babys mit angeborenen Herzfehlern bessere Überlebenschancen haben. Ständig steigt die Zahl von ehemaligen "Herzchen", die älter werden und ein fast normales Leben führen können.
Jährlich kommen in Deutschland rund 7000 Babys mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt. Die medizinische Entwicklung hat es möglich gemacht, auch Kindern mit schweren Herzfehlern durch frühzeitige Operationen oder Herzkatheterbehandlungen eine gute Lebensqualität und lange Überlebensdauer zu sichern. Ständig steigt die Zahl von ehemaligen kleinen "Herzchen", die älter werden und ein fast normales Leben führen können. Ein neuer Patiententyp ist entstanden: Erwachsene mit angeborenem Herzfehler.
Der 38 Jahre alte Lutz Lischke aus Berlin ist einer von ihnen. Betreut und behandelt wird er nach wie vor von Kinderkardiologen. Denn die Erwachsenenmedizin ist oft noch nicht auf die groß gewordenen Kinder mit Herzfehlern vorbereitet.
Eine Nacht im Einzelzimmer
Station K2 im Deutschen Kinderherzzentrum der Asklepios Klinik in Sankt Augustin bei Bonn: Dort, wo sonst vor allem Säuglinge, Kleinkinder und Jugendliche behandelt werden, hat Lutz Lischke für eine Nacht ein Einzelzimmer bezogen. Er wirkt gelassen, als er um 8.30 Uhr ins Herzkatheterlabor geht, vorbei am Spielzimmer der Kinder.
Lischke ist ein sportlicher Typ, 1,77 Meter groß, mit 75 Kilo hat er Idealgewicht. Das war nicht immer so. Als er so alt war wie die Kinder auf Station K2, wurde er oft gehänselt, sogar später noch. "„Skelett„ haben die mich genannt, weil ich so dünn war", erinnert sich Lischke. Als so genanntes "Blue Baby" war er zur Welt gekommen - blaue Lippen, blaue Hände, für die Ärzte damals am 28. März 1966 sofort der Hinweis auf einen schweren angeborenen Herzfehler.
Seine ersten fünf Lebensjahre verbrachte er hauptsächlich in Kliniken. In seiner körperlichen Entwicklung blieb er im Vergleich zu anderen Kindern stark zurück. Erst dann brachte eine Operation in Heidelberg eine leichte Besserung. Weitere sechs Jahre später wurde in einer britischen Klinik der Herzfehler korrigiert. Dabei wurde auch die Herzklappe der Lungenschlagader ersetzt. Inzwischen musste die Klappe schon drei Mal ausgewechselt werden - wegen des Größenwachstums, aber auch, weil Vernarbungen und Verkalkungen entstanden.
Behandlung mit Gefäßstützen
Ein weiterer operativer Eingriff wäre für den 38-Jährigen mittlerweile wegen der ausgeprägten Vernarbungen nach den früheren Operationen sehr risikoreich. Eine neue Einengung in der eingesetzten Klappe wird deshalb seit inzwischen fünf Jahren mit Hilfe von Gefäßstützen - so genannten Stents - beseitigt. Sie werden über einen Herzkatheter eingesetzt. Bislang hat Lutz Lischke drei solcher Stents erhalten.
An diesem Morgen will Kinderkardiologe Martin Schneider über einen Katheter einen weiteren Stent einsetzen, um den Druck, der auf den alten Gefäßstützen lastet, zu verringern. Viele angeborene Herzfehler haben eine besondere Belastung der rechten Herzkammer zur Folge, weil die Kammer ständig gegen die Belastung anpumpen muss - eine Situation, die mit Erkrankungen, die erst im Erwachsenenalter entstehen, nicht vergleichbar ist. "Das ist der Grund dafür, dass ein Patient wie Lutz Lischke beim Kinderkardiologen, dem Arzt für angeborene Herzerkrankungen, in den richtigen Händen ist", sagt Privatdozent Schneider.
Über die Vene führt Schneider den rund drei Millimeter dicken Herzkatheter in die rechte Leiste ein. Ein kleiner Ballon soll probeweise aufgeblasen werden, genau an der Stelle, wo eine weitere Gefäßstütze eingesetzt werden soll. Doch der Ballon zerplatzt. Auch ein zweiter Versuch misslingt. Lischke nimmt es gelassen. Schließlich ist dies die 60. Herzkatheterbehandlung.
"Individuelle Anfertigungen rechnen sich nicht"
Der 38-Jährige benötigt möglichst bald einen maßgeschneiderten Stent. Eine solche Anfertigung aber ist nicht einfach. Schneider erläutert: "Durch die Fusionen der Herstellerfirmen wird es weltweit immer schwieriger, individuelle Anfertigungen produzieren zu lassen. Für die großen Unternehmen rechnet sich das nicht." Für Lutz Lischke heißt es zunächst wieder Koffer packen - die Behandlung wird vertagt.
Einige Kinder auf der K2, mit denen er am Vorabend noch Domino gespielt hatte, winken ihm zum Abschied zu, dann fliegt er zurück nach Berlin. Am übernächsten Tag ist er wieder an seinem Arbeitsplatz. Der gelernte Bankkaufmann arbeitet in einem großen Unternehmen im Bereich der IT-Organisation, acht Stunden täglich, manchmal auch mit Überstunden. Wer ihn nicht kennt, merkt ihm die Herzkrankheit nicht an, denn er ist leistungsfähig wie alle anderen auch.
"Wichtig ist es, dass man in sich reinhört", sagt Lutz Lischke. "Sobald man irgend eine Veränderung spürt, muss man eben sofort zum Check." Seine positive Lebenseinstellung hat unter der Krankheit nie gelitten: "Wenns mal nicht so rund läuft, denke ich immer: Es gibt viele Leute auf der Welt, denen es noch viel schlechter geht."
DPA
Wolfgang Duveneck
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